Die Traumdeutung, 1900 erschienen, ist nun mehr als hundert Jahre alt. Auch im metaphorischen Sinne ist sie ein Jahrhundertbuch; denn durch die systematische Entschlüsselung der Traumsprache hat Freud die Dimension des Unbewußten erstmals in vollem Umfang vermessen und in unsere Selbstwahrnehmung gerückt. Mit dem Verständnis der Träume weitete sich die Psychoanalyse, die aus der Erforschung neurotischer Symptome hervorgegangen war, zu einer allgemeinen, pathologische und normale Phänomene umfassenden Psychologie. Der Autor selbst hatte von seinem Werk eine hohe Meinung: »Die Traumdeutung ist in Wirklichkeit die Via regia zur Kenntnis des Unbewußten, die sicherste Grundlage der Psychoanalyse.« Seine umstürzenden Erkenntnisse waren ihm vor allem auf dem Wege der Selbstanalyse zugefallen. Konträr zu den Gepflogenheiten der bürgerlich-akademischen Welt und schonungslos gegenüber sich selbst hatte er die eigenen Träume und deren oft wenig schmeichelhafte Deutung veröffentlicht. Das Buch präsentiert also nicht nur einen poetischen Urstoff der Psychoanalyse, die Traumgespinste, sowie die revolutionäre Theorie über das sich darin Ausdruck verschaffende psychische Geschehen - es ist zugleich ein unerschöpfliches quasi-autobiographisches Quellenwerk.
Hermann Beland charakterisiert in seinem Nachwort in eindringlicher Weise die Denkdurchbrüche, die Freud in seinem magnum opus geglückt sind, und würdigt die Beiträge der nachfreudschen Wissenschaft - die Ergebnisse der physiologisch-experimentellen Schlaf-Traum-Forschung ebenso wie die neueren psychoanalytischen Konzeptualisierungen. Er erkennt »die enorme theoretische Energie« der Traumdeutung nicht zuletzt in der machtvollen intellektuellen Herausforderung, die dieser humanwissenschaftliche Basistext für jede neue Generation darstellt.