Es gibt heute keinen mehr unter uns, der nicht regelmäßig scheitert, sobald er ein neues Gerät in die Hand nimmt und erst einmal versucht, ohne Anleitung damit zurande zu kommen. Zwar haben wir uns grundsätzlich an das Prinzip der Menüfunktionen und ihrer Komplikationen gewöhnt, aber wir sind irritiert, wenn wir nach gründlicher Einarbeitung dennoch unser Know-how nicht einfach von einem Gerät auf das nächste übertragen können und noch störender wirkt es, wenn wir uns nicht einmal von einer Gerätegeneration zur nächsten bei derselben Marke mehr zurechtfinden. Man denke z.B. an Handys und ihre immer vertrackteren Anruferlisten. Philosophisch lässt sich für eine Technikkritik grundsätzlich an Heidegger anschließen, für das Zeitphänomen eines immer rasanteren Produktwechsels bietet jedoch das historische Konzept der Hermeneutik Gadamers eine neue, vielversprechende Inspiration. Demnach muss man sich den Gebrauch von Geräten wie das Verstehen von Texten denken – und so wie man beim neuen Verständnis eines
Textes immer von einem bestehenden Vorverständnis ausgehen muss, so auch bei der ›Neuinterpretation‹ eines Gerätes von einer schon gängigen Praxis der Handhabung. Analog zur ›Wirkungsgeschichte‹ der Texte kann man dann von einer ›Gebrauchsgeschichte‹ der Dinge reden. Wenn sie ohne nennenswerte Brüche nachvollziehbar ist und ich mich morgen mit dem Wissen von heute noch (ansatzweise) zurechtfinden kann, habe ich einen Hinweis darauf, was der
Mensch wirklich braucht.
Martin Gessmann studierte in Tübingen, Nantes und Washington D.C., zeitweilig arbeitete er als Fernsehjournalist. Heute ist er Fellow am Marsilius-Kolleg der Universität Heidelberg.