Wien, im Oktober 1936. »Depression über Österreich. Stürmisches Wetter im Anzug.« Im Juli hat sich Kanzler Schuschnigg durch ein Abkommen mit dem Deutschen Reich verpflichtet, Vertreter der nationalen Opposition in seine Regierung aufzunehmen und damit nationalsozialistisches Gedankengut, nicht zuletzt auch der offenen Aggression gegen Juden in Österreich Tür und Tor zu öffnen. Leonidas ist seit einigen Monaten Sektionschef im Ministerium für Kultus und Unterricht. Seine Weltanschauung besteht allein darin, daß es der einzige » Sinn und Zweck der Veranstaltung des Universums« sei, »Götterlieblinge seinesgleichen mit Macht, Fhre, Glanz und Luxus auszustatten«. Aus bescheidenen Verhältnissen stammend, hat er die Tochter aus einer der vermögendsten Familien der Stadt geheiratet, Karriere gemacht. Wenige Monate nach seiner Heirat beginnt er auf einer Dienstreise ein Verhältnis mit Vera Wormser, Tochter einer Wiener jüdischen Familie. Jahre später, im Oktober 1936, erhält Leonidas einen Brief in blaßblauer Frauenschrift, einen formellen Bittbrief von Vera, er möge einem begabten Menschen, der aus allgemein bekannten Gründen in Deutschland sein Gymnasialstudium nicht fortsetzen darf und es daher in Wien vollenden möchte, helfen. Die Zeit scheint Leonidas eingeholt zu haben - die Ahnung, Vater eines durch die Mutter jüdischen Sohnes zu sein, erschreckt ihn vor allem; er fürchtet »nichts mehr als den Verlust des Reichtums, den er so nonchalant« genießt; er weiß, daß er seine Karriere dem feinen Gespür für die menschlichen Eitelkeiten, seinem Taktgefühl und »der schmiegsamen Nachahmungskunst« verdankt, »deren Wurzel freilich in der Schwäche meines Charakters liegt«. Entsprechend verhält er sich: Die »Sache mit Vera« wird »endgültig aus der Welt geschafft«.